Newsletter 2023/6 – EuGH-Vorlagefrage zum Bio-Recht – Dürfen europäische Produkte benachteiligt werden?
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 09.12.2022 (BVerwG 3 C 13.21) mehrere Fragen zum Bio-Recht an den Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens soll der EuGH klären, ob in die Europäische Union eingeführte Bio-Erzeugnisse mit einer Bio-Kennzeichnung versehen werden dürfen, auch wenn sie gegen das Anreicherungsverbot mit Vitaminen und Mineralstoffen für Bio-Lebensmittel in der EU verstoßen.
Hintergrund der Vorlagefrage ist eine Feststellungsklage, die ein Hersteller von Mischungen aus Fruchtsäften und Kräuterauszügen, die aus biologischer Produktion stammen, eingereicht hatte. Die Behörde untersagte ihm das Inverkehrbringen der Produkte mit der Begründung, die synthetische Anreicherung sei für diese Art von Bio-Produkten verboten.
Art. 16 Abs. 1 i. V. m. Anh. II Teil IV Nr. 2.2.2. Buchst. f) i) der Verordnung (EU) 2018/848 erlaubt es für Lebensmittel für den allgemeinen Verzehr, die in der EU hergestellt werden, Mineralstoffe (einschließlich Spurenelementen), Vitamine, Aminosäuren und Mikronährstoffe nur dann einzusetzen, soweit ihre Verwendung „unmittelbar gesetzlich vorgeschrieben ist“. Eine gesetzliche Vorgabe zur synthetischen Anreicherung besteht jedoch für Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs nicht, so dass in der Regel ein Anreicherungsverbot besteht.
Das Anreicherungsverbot könnte hingegen für Bio-Produkte aus Staaten wie den USA nicht anwendbar sein, da nach dem US-Bio-Recht die Zugabe synthetischer Vitamine und Mineralstoffe erlaubt ist und die EU im Jahr 2012 mit Staaten wie z. B. den USA ein Gleichwertigkeitsabkommen geschlossen hat. Nach diesem Abkommen dürfen Produkte, die in den Vertragsstaaten „bio“ sind, auch in der EU als „biologisch“/„ökologisch“ vermarktet werden.
Der EuGH hat sich nun mit der Frage zu beschäftigen, ob Produkte, die nicht aus der EU stammen und einem Gleichwertigkeitsabkommen unterfallen, trotz ihrer Anreicherung mit synthetischen Vitaminen und Mineralstoffen mit der Bio-Kennzeichnung in der EU in den Verkehr gebracht werden dürfen.
Dürfen sie in der EU in den Verkehr gebracht werden, so stellt sich die weitere Frage, ob das Bio-Recht dem Grundsatz der Gleichbehandlung gem. Art. 20 der EU-Grundrechtecharta entspricht. Der EuGH muss mit anderen Worten beantworten, ob für Produkte aus der EU strengere Regeln gelten dürfen oder ob EU-Produkte denjenigen Bio-Produkten gleichzustellen sind, die nicht aus der EU stammen und für die ein Äquivalenzabkommen die Anreicherung mit synthetischen Vitaminen und Mineralstoffen erlaubt.
Die Beantwortung dieser Fragen dürfte für Hersteller von Bio-Lebensmitteln außerordentlich interessant sein. Mit der Zulässigkeit einer synthetischen Anreicherung würde sich für sie nicht nur die Möglichkeit der Auslobung von Vitaminen und Mineralstoffen in der Nährwerttabelle, sondern auch die Möglichkeit einer Auslobung mit nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben i. S. d. Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 (HCVO) eröffnen.
Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben sind für Bio-Produkte bislang häufig nicht möglich, weil sie die erforderlichen Mindestmengen an Vitaminen und Mineralstoffen ohne eine synthetische Anreicherung oft nicht erreichen. Hierin dürfte eine weitere Ungleichbehandlung gegenüber den US-Bio-Produkten bestehen, deren synthetische Anreicherung die Werbung mit nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben ermöglicht.
Der Beschluss des BVerwG ist abrufbar unter: hier klicken.
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Dr. Christine Konnertz-Häußler, LL.M.
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