Newsletter 2023/1 – Auch Unternehmen, die Rohstoffe an Weiterverarbeiter abgeben, unterfallen dem allgemeinen Irreführungsverbot nach Art. 7 LMIV und sind insbesondere zur Verwendung der lebensmittelrechtlich korrekten Bezeichnung der Produkte verpflichtet

Mit Urteil vom 08.06.2022 (Az.: 14 LB 2/22) hat das Niedersächsische OVG eine wichtige Entscheidung zu den Informationspflichten in den Vorstufen der Wertschöpfung der Lebensmittelherstellung getroffen.

Ein Unternehmer betreibt einen Geflügelschlacht- und Zerlegebetrieb, in dem auf maschinelle Weise sog. Furculafleisch gewonnen und in den Verkehr gebracht wird. Dabei handelt es sich um Fleisch, das dem Gabelbein von Hähnchen anhaftet. Das Gabelbein seinerseits gehört – vergleichbar dem Schlüsselbein bei Säugetieren – zu den Knochen des Schultergürtels des Hähnchens und bildet einen in der Mitte zusammengewachsenen V-förmigen Knochen. Das Furculafleisch wird in einer vollautomatischen Zerlegelinie in zwei Schritten gewonnen. Im ersten Schritt wird das Gabelbein mit anhaftender Muskulatur als Ganzes maschinell mit V-förmigen Messern aus dem Geflügelschlachtkörper bzw. der das Gabelbein umgebenden Brustmuskulatur herausgeschnitten bzw. ausgestanzt. Das auf diese Weise herausgetrennte Gabelbeinstück wird sodann in einem zweiten Schritt zu einer Passier- bzw. Entsehnungsmaschine (sog. „Baader“-Maschine) weiterbefördert und dort durch eine 3 mm-Lochtrommel gepresst, um es von Sehnen und Knochen- oder Knorpelteilen zu befreien. Das aufgrund der Pressung eine körnige Struktur aufweisende Gewebe besteht im Wesentlichen aus Fleisch und Fett.

Das Unternehmen liefert das so gewonnene Furculafleisch an andere Lebensmittelunternehmen, die es zur Weiterverarbeitung in Geflügelfleischerzeugnissen verwenden. Dabei bezeichnet der Hersteller das Produkt als „Hähnchen-Verarbeitungsfleisch“.

Die zuständige Behörde gab dem Herstellerunternehmen auf, Furculafleisch (Gabelbeinfleisch) unverzüglich vor dem Inverkehrbringen als Separatorenfleisch zu kennzeichnen. Gleiches gelte für Erzeugnisse, die Furculafleisch als Bestandteil enthielten.

Das OVG stellt fest, dass das Unternehmen mit der Bezeichnung des Furculafleisches als „Hähnchen-Verarbeitungsfleisch“ gegenüber den von ihm belieferten Lebensmittelunternehmen lebensmittelrechtliche Vorschriften verletzt, nämlich das Verbot als Verantwortlicher nach Art. 8 Abs. 8 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV) Lebensmittel mit Informationen, die den Anforderungen des allgemeinen Irreführungsverbotes nach Art. 7 Abs. 1 LMIV nicht entsprechen, an andere Lebensmittelunternehmer zu liefern.

Zwar hatte das Unternehmen argumentiert, dass der von ihm gelieferte Rohstoff selbst nicht an die von der LMIV privilegierten Abnehmerkreise, nämlich Endverbraucher und Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung, abgegeben werde. Das OVG betont jedoch, dass die nationale Regelung des § 11 Abs. 2 Nr. 1 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) das Verbot der Abgabe von Lebensmitteln mit irreführenden Informationen auf den Lieferanten von Vorprodukten ausweitet, auch wenn diese selbst nicht unmittelbar an den Endverbraucher oder an Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung abgegeben werden (unter Verweis auf BT-Drs. 19/25319 S. 50). Damit solle den Anforderungen des Art. 8 Abs. 8 LMIV Rechnung getragen werden, wonach derjenige Lebensmittelunternehmer, der anderen Lebensmittelunternehmern Lebensmittel liefert, die nicht für die Abgabe an den Endverbraucher oder Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung bestimmt sind, sicherzustellen hat, dass der andere Lebensmittelunternehmer ausreichende Informationen erhält, um seine Verpflichtungen nach Art. 8 Abs. 2 LMIV erfüllen zu können.

Weiter führt das OVG aus:

Die von der Klägerin verwendete Bezeichnung „Hähnchen-Verarbeitungsfleisch“ lässt für die weiterverarbeitenden Betriebe nicht erkennen, dass es sich bei dem Gabelbeinfleisch tatsächlich um Separatorenfleisch im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. f) LMIV i. V. m. Anhang I Nr. 1.14 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 handelt. Separatorenfleisch unterliegt jedoch anderen Hygiene- und Verarbeitungsregeln als frisches Fleisch, Hackfleisch oder Fleischzubereitungen. Zudem ist Separatorenfleisch gemäß Anhang VII Teil B Nr. 17 LMIV von der kennzeichnungsrechtlichen Definition von Fleisch ausgenommen. Durch die Bezeichnung des Furculafleisches als „Hähnchen-Verarbeitungsfleisch“ wird jedoch der Eindruck erweckt, dass das Produkt unter die Klassenbezeichnung „Hähnchenfleisch“ i. S. d. Anhangs VII Teil B Nr. 17 LMIV fällt.

Hintergrund: Grundsätzlich gelten die Informationspflichten nach der LMIV unmittelbar für die Abgabe von vorverpackten Lebensmitteln an Endverbraucher und Gemeinschaftsverpfleger, mit Blick auf die Information über allergene Zutaten auch bei der Abgabe nicht vorverpackter Lebensmittel an die genannten Kreise. Art. 8 Abs. 8 LMIV fordert jedoch auch eine Informationsvermittlung durch die gesamte Kette:

„Lebensmittelunternehmer, die anderen Lebensmittelunternehmern Lebensmittel liefern, die nicht für die Abgabe an Endverbraucher oder Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung bestimmt sind, stellen sicher, dass diese anderen Lebensmittelunternehmer ausreichende Informationen erhalten, um ihre Verpflichtungen nach Absatz 2 erfüllen zu können.“

Das Urteil ist abrufbar: hier klicken.

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02.01.2023

 

Redaktion:

Prof. Dr. Markus Grube

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