Newsletter 2023/12 – Botanical Claims – Vorlagefrage an EuGH zur Anwendbarkeit von Art. 10 Abs. 1 und 3 HCVO
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit Beschluss vom 01.06.2023 sinngemäß die Vorlagefrage vorgelegt, ob für pflanzliche Stoffe (sog. Botanicals) mit spezifischen gesundheitsbezogenen Angaben i. S. d. Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 (HCVO) bzw. mit unspezifischen gesundheitsbezogenen Angaben i. S. d. Art. 10 Abs. 3 HCVO geworben werden darf, ohne dass die Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 1 bzw. Abs. 3 HCVO erfüllt sind.
Nach Art. 10 Abs. 1 HCVO dürfen spezielle gesundheitsbezogene Angaben nur verwendet werden, wenn sie nach der HCVO zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gem. den Art. 13 und 14 HCVO aufgenommen sind, und nach Art. 10 Abs. 3 HCVO sind unspezifische gesundheitsbezogene Angaben nur erlaubt, wenn ihnen eine in einer der Listen nach Art. 13 oder 14 HCVO enthaltene spezifische gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist.
Der Verband Sozialer Wettbewerb e. V. (VSW) hatte ein Unternehmen, das das Nahrungsergänzungsmittel „Adapto-GENIE ANTI-STRESS-KOMPLEX“ in den Verkehr bringt, auf Unterlassung abgemahnt und verklagt. Das Unternehmen bewarb das Produkt mit gesundheitsbezogenen Angaben zu den Inhaltsstoffen „Safran-Extrakt“ und „Melonensaft-Extrakt“. Hierzu gehörten z. B. Angaben wie „stimmungsaufhellendes Safran-Extrakt“, „Verbesserung des emotionalen Gleichgewichts“ oder „Stressgefühle und Erschöpfung (nahmen) ab“. Der VSW sah hierin unzulässige gesundheitsbezogene Angaben gem. Art. 10 HCVO.
Das Landgericht Hamburg gab der Klage statt und die hiergegen gerichtete Berufung des Unternehmens blieb ohne Erfolg (OLG Hamburg, MD 2022, 1054).
Das OLG Hamburg hielt die angegriffenen Angaben für unspezifische gesundheitsbezogene Angaben i. S. d. Art. 10 Abs. 3 HCVO und die Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 3 HCVO weiterhin für anwendbar. Für die Zulässigkeit der unspezifischen gesundheitsbezogenen Angaben kam es nach Ansicht des OLG Hamburg in Umsetzung des Art. 10 Abs. 3 HCVO darauf an, ob es sog. „on-hold-Claims“ gebe, die der unspezifischen gesundheitsbezogenen Angabe beigefügt worden seien. Daran fehlte es im Streitfall. Zum Melonen-Extrakt hatte das beklagte Unternehmen nicht vorgetragen, dass es solche „on-hold-Claims“ gebe. Bezüglich Safran (als solchem – nicht Safranextrakt) bestünden zwar beantragte „on-hold-Claims“, diese bezögen sich jedoch auf psychische Funktionen. Dies führe dazu, dass die Verwendung der Angaben nicht unter den Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 5 HCVO, sondern nur nach Maßgabe des Art. 28 Abs. 6 HCVO möglich sei. Die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 6 HCVO seien jedoch nicht erfüllt, weil die Zulassung der entsprechenden Angaben nicht vor dem in Art. 28 Abs. 6 Buchst. b) HCVO bestimmten Stichtag, dem 19.01.2008, beantragt worden sei.
Doch selbst dann, wenn die angegriffenen Angaben nicht als unspezifische, sondern als spezielle gesundheitsbezogene Angaben i. S. v. Art. 10 Abs. 1 HCVO bewertet würden, seien sie unzulässig. Solche Angaben seien nur zulässig, wenn sie nach der Entscheidung der Europäischen Kommission „on hold“ gehalten würden und zudem die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 5 oder 6 erfüllten. Für Melonen- und Safran-Extrakt fehle es bereits an „on-hold-Claims“ und selbst wenn man auf Safran als solchen abstelle, seien die bestehenden „on-hold-Claims“ mit den angegriffenen Angaben weder identisch noch gleichbedeutend.
Nach Ansicht des BGH ist jedoch streitig, ob die Abs. 1 und 3 des Art. 10 HCVO überhaupt auf Botanicals angewendet werden müssen.
Die überwiegende Meinung vertrete, dass Art. 10 Abs. 3 auch für Botanicals gelte. Da in Bezug auf Pflanzen jedoch keine zugelassene gesundheitsbezogene Angabe beigefügt werden könne, genüge es, wenn ein „on-hold-Claim“ verwendet werde und die Voraussetzungen von Art. 28 Abs. 5 bzw. 6 HCVO erfüllt seien.
Nach einer anderen Meinung spreche für eine Unanwendbarkeit von Art. 10 Abs. 1 und 3 HCVO unter anderem, dass die jahrelange Untätigkeit der Europäischen Kommission für die betroffenen Unternehmen eine unverhältnismäßige Einschränkung ihrer unternehmerischen Freiheit i. S. v. Art. 16 EU-Grundrechtscharta sei. Das mehrjährige Vollzugsdefizit der Europäischen Kommission könne dazu führen, dass in der Aufrechterhaltung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 10 Abs. 1 und Abs. 3 HCVO eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der rechtlich geschützten Interessen der betroffenen Unternehmen gesehen werden könne.
Beantwortet der EuGH die Vorlagefrage dahingehend, dass Botanical-Claims zukünftig ohne Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 1 und Abs. 3 HCVO gemacht werden dürfen, so stellt dies eine wesentliche Erleichterung für Lebensmittelunternehmer dar, wenn sie gesundheitsbezogene Angaben in Bezug auf Pflanzenstoffe verwenden.
Nicht zu vergessen ist allerdings die Entscheidung des EuGH vom 10.09.2020 in der Rs. C-363/19, in der er für gesundheitsbezogene Angaben i. S. d. Art. 13 Abs. 1 Buchst. a) HCVO entschieden hat, dass die Angaben durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Nachweise begründet sein und eine objektive Grundlage haben müssen, über die Einigkeit in der Wissenschaft besteht.
Der Vorlagebeschluss des BGH vom 01.06.2023 ist abrufbar unter: hier klicken.
Das Urteil des EuGH vom 10.09.2020 in der Rs. C-363/19 ist abrufbar unter: hier klicken.
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Dr. Christine Konnertz-Häußler, LL.M.
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