Newsletter 2022/17 – Urteil des Europäischen Gerichtshofes: „Produktname“ und „Bezeichnung“ eines Lebensmittels meinen dasselbe
Mit Urteil vom 1. Dezember 2022 hat der EuGH in der Rechtssache C‑595/21 entschieden, dass der in Anhang VI Teil A Nr. 4 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (Lebensmittelinformationsverordnung – LMIV) enthaltene Ausdruck „Produktname“ keine eigenständige Bedeutung hat, die sich von derjenigen des Ausdrucks „Bezeichnung des Lebensmittels“ im Sinne von Art. 17 Abs. 1 der genannten Verordnung unterscheidet.
Damit greifen die in Anhang VI Teil A Nr. 4 LMIV vorgesehenen besonderen Kennzeichnungsvorschriften nicht für die „als geistiges Eigentum geschützte Bezeichnung“, „Handelsmarke“ oder „Fantasiebezeichnung“ im Sinne von Art. 17 Abs. 4 der Verordnung.
Das Urteil des EuGH erging auf ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach, welches über die Frage zu entscheiden hat, ob die Vorgaben nach der LMIV zum Hinweis des Austausches von Zutaten ausschließlich im Zusammenhang mit der Bezeichnung eines Lebensmittels im Sinne der lebensmittelinformatorischen Pflichtangaben zu erfolgen hat oder (auch) im Zusammenhang mit einer Fantasiebezeichnung bzw. einem Markenzeichen. Konkret geht es um die Frage, ob der Hinweis auf den Austausch tierischer Fette durch Pflanzenfette „mit Palmfett und Rapsöl“ bei einer „Geflügel-Minisalami“ im Zusammenhang mit der Fantasiebezeichnung „BiFi The Original Turkey“ bzw. der geschützten Marke „BiFi The Original“ erfolgen muss, weil es sich hierbei um den „Produktnamen“ im Sinne von Anhang VI Teil A Nr. 4 LMIV handelt. Dies ist nach Auffassung des EuGH nicht der Fall.
Der Ausdruck „Produktname“ wird ausschließlich in Anhang VI Teil A Nr. 4 LMIV verwendet und ist gesetzlich nicht definiert. In vor allem der deutschen („Produktname“) und der französischen Sprachfassung („nom du produit“) weicht der Ausdruck stärker von dem in Art. 17 der der LMIV enthaltenen Ausdruck „Bezeichnung des Lebensmittels“ bzw. „dénomination de la denrée alimentaire“ ab. Die Sichtweise, dass die beiden in Rede stehenden Ausdrücke nicht dieselbe Bedeutung haben, wird nach Ansicht des EuGH durch die anderen Sprachfassungen jedoch nicht bestätigt. Nach ständiger Rechtsprechung können die in einer der Sprachfassungen einer unionsrechtlichen Vorschrift verwendeten Begriffe aber nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder Vorrang vor den anderen Sprachfassungen beanspruchen, so der EuGH unter Hinweis auf die Urteile vom 27. Oktober 1977, Bouchereau, 30/77, EU:C:1977:172, Rn. 14, und vom 25. Februar 2021, Bartosch Airport Supply Services, C 772/19, EU:C:2021:141, Rn. 26.
Anhang VI Teil A Nr. 4 LMIV, der nun unstreitig Anwendung allein auf die Bezeichnung eines Lebensmittels im Sinne von Art. 17 LMIV findet, lautet:
„Im Falle von Lebensmitteln, bei denen ein Bestandteil oder eine Zutat, von dem/der die Verbraucher erwarten, dass er/sie normalerweise verwendet wird oder von Natur aus vorhanden ist, durch einen anderen Bestandteil oder eine andere Zutat ersetzt wurde, muss die Kennzeichnung – zusätzlich zum Zutatenverzeichnis – mit einer deutlichen Angabe des Bestandteils oder der Zutat versehen sein, der/die für die teilweise oder vollständige Ersetzung verwendet wurde, und zwar
- a) in unmittelbarer Nähe zum Produktnamen und
- b) in einer Schriftgröße, deren x-Höhe mindestens 75 % der x-Höhe des Produktnamens beträgt und die nicht kleiner als die in Artikel 13 Absatz 2 dieser Verordnung vorgeschriebene Mindestschriftgröße sein darf.“
Das Urteil kann abgerufen werden: hier klicken.
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07.12.2022
Redaktion:
Prof. Dr. Markus Grube
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